Zu Gast im Knast

Nein – wir haben nichts angestellt. Wir gehen auch nicht unfreiwillig, sondern völlig selbstbestimmt in das Offenburger Gebäude, das widersprüchlicher nicht sein könnte. Es geht um Arrest und Freiheit, um eingesperrt sein und Geborgenheit, um Altes und Modernes, um Gefängniszellen, die sich zu einem Designhotel gewandelt haben: das Hotel Liberty. Es gibt aber noch mehr Widersprüchliches: Wie kann es sein, dass ein Architekt mit dem Namen HÜBSCH in den 40-er Jahren des 19. Jahrhunderts ein Gefängnis errichtet, in dem Verbrecher, politisch Verfolgte und Freidenker „logieren“? Wie kann es sein, dass Vordenker der Demokratie hinter dicken Mauern verschwinden? Das alles gehört zwar der Vergangenheit an, und trotzdem ist es auch ein Stück Gegenwart, weil ein Großteil der Bausubstanz erhalten geblieben ist. Das Sandsteingebäude mit den wuchtigen Mauern atmet noch immer den Geist der Geschichte, auch wenn mittlerweile internationale Gäste ein- und ausgehen. Im Gegensatz zu den früheren „Bewohnern“ dürfen sie ihr Domizil nämlich verlassen. 160 Jahre Knastbetrieb hat das Gebäude hinter sich gelassen, heute beherbergt es als eines der angesagtesten Hotels Gäste von überall her.

Das Liberty ist ein Hotel der Extraklasse. „Es gibt Orte, an denen Geschichte zum Genuss wird,“ ist an der Fassade zu lesen, die aus zwei Zellentrakten besteht und durch einen Glaskubus über dem ehemaligen Gefängnishof zu einer Einheit wird. Im Innern des Gebäudes wird der Respekt vor der Geschichte fast greifbar. Das Liberty mit seinem mächtigen Gemäuer empfängt die Besucher freundlich. Das Restaurant „Wasser und Brot“, die offene Küche, eine Terrasse mit angegliedertem Biergarten, im oberen Stockwerk die Bar – bei der Umgestaltung des ehemaligen Gefängnisses bleibt nichts dem Zufall überlassen. Wo die Treppe hinauf zur ersten Etage führt, hängen an der Wand Bilder der heutigen „Insassen“, soll heißen: Einige Angestellte, auch die Besitzer des Hotels, sind als „Sträflinge“ abgebildet.

Geschäftsführer Heiko Hankel nimmt sich viel Zeit für uns, erzählt, dass gelegentlich frühere echte Insassen ins Liberty kommen und ihre damalige Zelle sehen wollen. Das ist ihnen gestattet, sofern der entsprechende Raum gerade nicht belegt ist. „Bei solchen Begegnungen“, so der Hotelmanager, „wird es immer emotional. Die ehemaligen Häftlinge erzählen meist ihre ganz persönliche Geschichte, oft fließen dann auch Tränen.“ Übrigens gehörten zu den Insassen auch der Attentäter, der Wolfgang Schäuble in den Rollstuhl verbannte und „Big Manni“, Gründer der Firma Flowtex. Auch diese beiden mussten in einer winzigen Zelle ausharren.

Die modernen Hotelzimmern sind natürlich größer. „Aus zweieinhalb Zellen ist ein gemütliches Zimmer entstanden“, verdeutlicht der Geschäftsführer. Heiko Hankel zeigt uns die modern gestalteten Zimmer und den Zellentrakt, dem die einstige Bestimmung des Hauses noch anzusehen ist. Ein langer Flur mit den Originaltüren, die heute zwar Attrappen sind, aber nichts von ihrer einschüchternden Wirkung verloren haben. Unwillkürlich erinnere ich mich an meine Reporterinnenzeit beim SWR, die mich dienstlich in verschiedene Gefängnisse geführt hat, Gespräche mit Inhaftierten inklusive. Ich höre die massiven Türen geräuschvoll zuschlagen, es scheppert der riesige Schlüsselbund der Wärter, und vor meinem geistigen Auge sehe ich, wie die Durchreiche aufgeklappt wird. Gänsehautfeeling, obwohl mir klar ist, dass wir in einem mehrfach ausgezeichneten Hotel stehen. In solchen Momenten wird der Respekt vor der Vergangenheit sehr deutlich.

Nach der Inbetriebnahme der neuen Offenburger Justizvollzugsanstalt im Jahr 2009 wurde das alte Gefängnis an der Grabenallee geschlossen, und es dauerte einige Jahre, bis aus der Unfreiheit Freiheit werden konnte. 2017 schließlich war die Transformation gelungen. Heiko Hankel führt die Geschäfte seit 2018, und die Freude an dem ungewöhnlichen Ambiente mit seiner ganzen Detailverliebtheit ist ihm deutlich anzumerken. Das Liberty mit all seinen Angeboten, und dazu zählen Musikveranstaltungen, Afterwork-Parties und Lesungen, um nur einige zu nennen, wird von den Gästen sehr gut angenommen. In diesem Hotel der Spitzenklasse geht man offensichtlich gerne „hinter schwedische Gardinen“.

www.hotel-liberty.de

 

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