Bernhard Rieger: Lüftl-Maler aus Garmisch

Wer jemals im bayrischen Voralpenland war, kennt die für die Gegend typischen und von Lüftl-Malern gestalteten Häuserfassaden. Vielerorts sind sie mit biblischen Szenen oder Engelmotiven verziert. Wenn Bernhard Rieger am Werk ist, entstehen aber auch ganz andere Bilder. Der begnadete Künstler hat sich das Lüftl-Malen selbst beigebracht, denn schon als Kind wusste er, dass er genau das und nichts anderes machen wollte. Dabei ist er offen für alle Künste, ob Graffity, StreetArt und was es sonst noch alles gibt. „Mein Interesse gilt allem, was einer Kultur entspringt, aber mein Herz schlägt eben auch für die Tradition. Das Alte bewahren, dafür sorgen, dass Überliefertes nicht verloren geht, das ist meine Passion, und das sehe ich als Beitrag für die Region“, sagt er, als wir ihn in Farchant, unweit von Garmisch, treffen – an einem Objekt, das er gerade fertig gestellt hat.

An diesem Haus fehlt etwas“, hat er die Eigentümer überzeugt. Heraus gekommen ist eine Fassade, die die Geschichte der dort wohnenden Familie erzählt: Drei Generationen, Landwirtschaft, Zusammenhalt. Im Vordergrund der Großvater mit der Sense beim Heu machen. Das Heu braucht’s fürs Vieh, das Vieh sorgt fürs Auskommen. Bekleidet ist der Landwirt mit der Werdenfelser Tracht. Leinenhose, rote Hosenträger. Im Hintergrund die drei Kinder vor einer Streuobstwiese, einer kleinen Kirche und vor dem Alpenpanorama. Über der Haustür das Familienwappen: drei Föhren, die Loisach. Föhren werden in der Region übrigens „Farchen“ genannt. Vielleicht kommt der Ortsname Farchant genau daher? Man weiß es nicht so genau. Aber der Lüftl-Maler setzt sich auch mit solchen Fragen auseinander. Lässig dargestellt sind die Jüngsten der Familie. Einer von ihnen hält in der Hand eine Mistgabel. „Von der Pose her könnte er mit ein bisschen Phantasie auch Gitarre spielen oder ein Handy halten“, meint der Maler, der mit dieser vermeintlichen Kleinigkeit die Veränderung der Zeit fixiert.

Bevor Bernhard Rieger ans Werk geht, schaut er sich die Umgebung ganz genau an. „Jedes Gebäude ist Teil eines Ensembles“, stellt er fest. In diesem speziellen Fall steht nebenan der Alte Pfarrhof aus dem 18. Jahrhundert. Diese Tatsache ist die Basis für das Objekt in Farchant. „Was macht der Ort mit mir? Was genau passiert hier?“ Diese Fragestellung erforscht der Sohn eines Schreiners und Holzbildhauers genau, bevor er zu Pinsel und Farben greift. Die Lüftl-Malerei ist für ihn nicht nur objektbezogen, sondern er bezieht die Umgebung mit ein, diesmal also den benachbarten Alten Pfarrhof. So dient die Sense auf dem Fassadenbild nicht nur als Werkzeug für den Grasschnitt, vielmehr ist sie auch eine Anspielung auf den Sensenmann, den in der Region sogenannten „Boanlkramer“. Eine Allegorie, mit der Bernhard Rieger Akzente setzt. Wie entwickelt der Künstler nun aber ein Fassadenbild? „Orientiert habe ich mich hier in Farchant an den grünen Fensterläden“, lässt er uns auf meine Frage hin wissen. „Dann sind da noch das Wappen an der Eingangstür und die drei Föhren.“ Alles zusammen muss eine Harmonie ergeben – sowohl thematisch als auch farblich.“ Heraus gekommen ist ein farbenfrohes Kulturgut, an dem alle Generationen ihre Freude haben.

Schon während ich auf dem Gerüst stand, haben sich generationsübergreifend Gespräche ergeben“, freut sich Bernhard Rieger, „da wurde begutachtet und diskutiert.“ Drei Monate lang hat der Künstler an dem Projekt gearbeitet, das eigentliche Bild ist in 10 Tagen entstanden. „Die Vorarbeiten, Entwürfe, Überzeugungsarbeit, Musteranstrich, der Austausch mit den Eigentümern erfordert die meiste Zeit“, weiß der Mann, der am liebsten mit dem Pinsel in der Hand arbeitet. „Am Schluss steht dann die Identität mit Bild!“ Aber nicht nur das. Die vordere Häuserecke ist als Säule gestaltet, eine Anlehnung an die Kirchenkunst. „Diese „Säulen“ tragen das Dach und nehmen dem Gebäude das Gewicht – eine optische Täuschung, die aber wunderbar funktioniert.“ Tatsächlich müssen wir die „Säulen“ anfassen, um zu erkennen, dass sie nicht aus Stein sondern aus Farbe gemacht sind. Und wieder ist ein Stilelement so eingesetzt, dass die beiden Nachbargebäude miteinander kommunizieren.

Motiv in Oberammergau
Motiv in Oberammergau

Der Begriff „Lüftl-Malen“ ist übrigens nicht ganz genau zu definieren. Möglicherweise kommt er daher, dass diese besondere Spezies von Malern in luftigen Höhen agiert. Genauso gut könnte es sein, dass diese Kunst nach dem Maler Franz Zwinck benannt ist, ein Vorreiter in puncto Lüftl-Malen. Auf ihn geht die Fassadenmalerei maßgeblich zurück, und dessen Hausname im benachbarten Oberammergau hieß „Zum Lüftl“. Nichts Genaues weiß man nicht, aber eines ist für Bernhard Rieger ganz klar: „Mir ist der Heimatgedanke implantiert.“ Übrigens verfolgt der Künstler eine eigene Aktion für Kinder: Ein Herz klopft um die Welt. Ende September plant er ein Fest in seiner Heimatgemeinde, und wir von „Merkels Grenzerfahrungen“ sind eingeladen, unsere Aktion vorzustellen – eine tolle Idee, wie wir finden.

https://bernhardrieger.com

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