"Laufend" Grenzerfahrungen
An einer Wand in der Wohnung von Uwe Knauer aus Gaggenau-Bad Rotenfels hängt eine große Deutschlandkarte. Ganz klar markiert verläuft darauf eine Linie von Nord nach Süd, genau gesagt vom nördlichsten Punkt -das ist die Gemeinde List auf der Insel Sylt- zum südlichsten Punkt, etwas außerhalb von Oberstdorf. Dazwischen liegen 1.423 km, 72 Tage und unzählige Schritte. Uwe Knauer hat diese Strecke zu Fuß zurück gelegt und dabei einige Strapazen auf sich genommen. An manchen Tagen ist der frühere Lehrer für Pflege- und Sozialberufe bis zu 28 km gegangen – mit einer Last von bis zu 16 kg auf den Schultern. Ein Zelt und eine Campingausrüstung gehörten dazu, denn im Frühjahr 2021 führte Corona das Regiment, es herrschte Beherbergungsverbot. Wind, Nässe, Kälte – besagter Frühling zählt nämlich nicht zu den sonnigsten – waren seine größten Gegner.
Das alles konnte den passionierten Wanderer aber nicht von seiner geplanten Tour abhalten, wobei das Wandern nur eine Rolle in seinen Gedanken spielte. Vielmehr wollte er auch als Mutmacher unterwegs sein und anderen Menschen zeigen, dass ein neues Kniegelenk kein Grund dafür ist, auf Mobilität und Herausforderungen zu verzichten. Das war dem Mann aus dem Badischen ganz wichtig, wusste er doch aus eigener leidvoller Erfahrungen, was es bedeutet, mit Schmerzen zu leben bzw. diese Schmerzen mit Hilfe eines erfahrenen Arztes zu überwinden. Jederzeit stand im Fokus: „Ich gehe meinen Weg“. Er ist den Weg gegangen, Tag für Tag, Etappe für Etappe, Schritt für Schritt. „Wir haben in Deutschland alles“, resümiert der Vater zweier erwachsener Kinder, „zwei Meere im Norden, Seen, Berge – bis hin zu alpiner Höhe.“ Diese Erfahrung deckt sich mit „Merkels Grenzerfahrungen“. Und noch etwas stimmt absolut überein: Die Erkenntnis, dass überall charismatische, hilfsbereite Menschen leben, die gerne zuhören, wenn ein Fremder ihnen etwas zu erzählen hat und die von Fremden zu Freunden werden können. Auch knappe zwei Jahre nach seiner Tour pflegt Uwe Knauer noch Kontakte zu verschiedenen Personen, die er unterwegs getroffen hat. Der erste Kontakt in einer Gemeinde oder Stadt kam immer dadurch zustande, dass Uwe Knauer sich ein Bild davon machen musste, wo er denn ungestraft sein Zelt aufbauen durfte.
Mit dieser Frage ging der Wanderer auf die Leute zu. Immer bekam er mindestens einen geeigneten Platz genannt, ab und zu wurde ihm sogar ein Platz in der Gartenlaube, wenn nicht sogar ein Zimmer angeboten. Einzige Gegenleistung: Uwe Knauer sollte von seinen Erlebnissen unterwegs berichten. „Nichts lieber als das“, bekennt der weit gelaufene Wanderer, denn „durch die Erzählungen konnte ich meine Reise auf zwei Beinen stets auch Revue passieren lassen. Einmal, so erinnert sich Uwe Knauer, „einmal war ich für eine Nacht bei einem älteren Ehepaar untergekommen und am nächsten Morgen zum Frühstück eingeladen worden. Dabei hat sich heraus gestellt: Die Gastgeber feierten an diesem Tag Goldene Hochzeit.“ Das ist aber nur eine Geschichte von vielen. Einmal hat ihn ein Autofahrer aus dem Seitenfenster heraus angesprochen und gefragt, woher, wohin, weshalb. Dieser Mann hat spontan seine für den nächsten Tag geplanten Termine abgesagt und Uwe Knauer einen Tag lang begleitet. „So etwas vergisst man nicht, das bleibt im Gedächtnis eingebrannt“.
List – Hannover – Würzburg – Oberstdorf, das waren die großen geplanten Etappen, wobei sich auf der zweiten Hälfte der Tour ein Mitwanderer aus der erweiterten Familie hinzu gesellte. Eine echte „Grenzerfahrung“ bereitete Uwe Knauer irgendwann sein kleiner Zeh. „Das Gewicht war zu viel für ihn“, sagt er. Resignieren war allerdings kein Thema. Pragmatisch wie der Mann aus Bad Rotenfels nun mal ist, kaufte er sich unterwegs ein gebrauchtes Fahrrad, verstaute darauf sein Gepäck und schob das Gefährt so lange bis der Zeh wieder in Ordnung war. Dann wurde das Vehikel wieder verkauft. „Für jede Situation findet sich eine Lösung“, zeigt sich Uwe Knauer überzeugt.
Kennen gelernt haben wir ihn übrigens während eines Vortrags über „Merkels Grenzerfahrungen“. Das Thema hatte ihn angesprochen, wir kamen ins Gespräch, und uns war sofort klar: Die Wanderung vom nördlichsten zum südlichsten Zipfel Deutschlands ist eine Geschichte, die in unseren Blog passt. Wir sind dankbar für die Begegnung und für seine Spende.