Klingenthal – der Name ist Programm
Der Name Klingenthal ist Musik in den Ohren der Instrumentalisten überall auf der Welt. Klar, dass wir dahin müssen, denn Richard ist ein exzellenter Akkordeonspieler, und dass Klingenthal an der Grenze zu Böhmen und somit auf unserer Strecke liegt, spielt ihm in die Hände. Unser Tag beginnt aber schon vor dem Museumsbesuch mit einer unvergesslichen Begegnung. Da der Campingplatz am Waldrand umgeben ist von zahlreichen Spazierwegen, treffen wir ein Paar mit neugeborenen Zwillingen. Da geht uns das Herz auf, schließlich sind unsere ältesten Söhne auch Zwillinge, nur eben ein paar Tage älter als diese Babies. Jedenfalls kommen wir ins Gespräch über dies und das, das Paar interessiert sich ernsthaft für unsere Tour und will sogar spenden. Herzlichen Dank dafür!
Danach nix wie hin zum Museum, wo uns die Leiterin Xenia Brunner sehr herzlich empfängt und bedauert, dass es ihre Termine nicht zulassen, uns persönlich durch das Museum zu führen. Schade, aber verständlich, denn wir kommen – wie fast immer – unangemeldet. Umso mehr freuen wir uns über ihr Versprechen, sich um eine Spende zu kümmern. Dankeschön!
Die Ausstellung lässt dann auch keine Wünsche offen. Seit 1852 werden in Klingenthal Akkordeons gefertigt und zwar Knopf-, Piano-, Folklore und diatonische Instrumente, die ganze breite Palette. Auch Mundharmonikas wurden in Klingenthal hergestellt, und zwar so viele davon, dass das gesamte Stadtbild geprägt war von den Produktionsstätten. Bereits um 1840 galt die sächsische Stadt als größtes deutsches Mundharmonikazentrum. Die Produktion von Akkordeons begann rund ein Jahrzehnt später und wurde ebenfalls zu einem bedeutenden Industriezweig. 1973 kamen alle verbliebenen Betriebe unter das Dach der VEB Klingenthaler Harmonikawerke, die mehr als 3500 Mitarbeiter zählten. Der Industriezweig erlebte Höhen und Tiefen, aber noch immer steht der Name Klingenthal für hochwertige Akkordeons. Zahlreiche Exponate zeugen von einer außerordentlich kreativen Zeit in Klingenthal, ein eindrucksvoller Film erklärt die Schritte vom Rohmaterial bis zum fertigen Instrument, und aufmerksame Museumsbesucher erfahren, dass viele Produktionsschritte in heimischen Wohnstuben entstanden sind – in Heimarbeit.
Es wäre aber falsch, Klingenthal auf Tasten- und Knopfgriffinstrumente zu reduzieren, denn tatsächlich entwickelte sich die Region in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Weltzentrum des Musikinstrumentenbaues überhaupt. Drei Viertel aller in der ganzen Welt benötigten Saiten lieferte das Vogtland bereits 1913 und ungefähr zwei Fünftel an Streich- und Zupfinstrumenten. Im Museum zu besichtigen ist u.a. die Original-Werkstatt des letzten Klingenthaler Geigenbauers. Was die Harmonikas anbelangt, kam mehr als die Hälfte der Weltproduktion dieser Instrumente aus Klingenthal. Mehr als 100 Standorte des Musikinstrumentengewerbes wurden nachgewiesen. 1871 zählte die Branche knapp 1.000 Beschäftigte, 1928 waren es ca. 10.000 Beschäftigte bei 19.000 Einwohnern im Gebiet Klingenthal mit seinen heutigen Ortsteilen und Zwota. Mitte der zwanziger Jahre schätzte der deutsche Holzarbeiterverband den Umfang der Klingenthaler Jahresproduktion auf 30 bis 35 Millionen Mundharmonikas und ca. eine Million Handharmonikas. Bis heute existiert in Klingenthal die älteste noch produzierende Mundharmonikamanufaktur der Welt, und jährlich trifft sich zum Internationalen Akkordeonwettbewerb die künstlerische Weltelite des Faches in der sächsischen Stadt.
Klingenthal ist aber nicht nur Musik- sondern auch Wintersportstadt. So wurde dort bereits 1886 das erste Paar Ski gebaut, rund zwanzig Jahre später erfolgte die Gründung des ersten Wintersportvereins. Auch dieser Tatsache wird gehuldigt in dem Museum, das wir allen Besuchern des Vogtlandes nur ans Herz legen können. Wir jedenfalls verlassen die Ausstellung mit dem Gefühl, viel dazu gelernt zu haben.
LESEN – SICH FREUEN – SPENDEN – DANKE !!!