Grenzüberschreitungen

Jolanta Grenke und Edward Orlowski überschreiten Grenzen – und das oft und mit viel Freude. Beide sind in Polen geboren und vor mehr als 30 Jahren nach Deutschland übersiedelt – ganz bewusst und mit einer Mission, die sie sich selbst auferlegt haben. Menschen zusammenbringen und Netzwerke flechten, das ist ihre ganz große Leidenschaft. Beide haben hervorragende Kontakte über Grenzen hinweg und den Herzenswunsch, die Grenzen in den Köpfen der Menschen fallen zu sehen. Sie wollen sozusagen „grenzenloses“ Bewusstsein schaffen. Edward Orlowski hat Polen verlassen, weil er als junger Mann in seiner Heimat keine Perspektive gesehen hat, Jolanta Grenke weil der Grenzübertritt Freiheit für sie bedeutete. Vor 14 Jahren haben die beiden IT-Spezialisten in dem kleinen Dorf Ramin im südöstlichen Mecklenburg-Vorpommern, nur einen Steinwurf von der deutsch-polnischen Grenze entfernt, ein altes Gutshaus erstanden – dann kam die Bankenkrise. Anstatt zu resignieren, weil die Kreditgeber ihre Zusagen nicht einhielten, haben sie beschlossen, die anstehende Renovierung Schritt für Schritt anzugehen, Raum für Raum. Aus allem das Beste machen, das ist eine Kunst, die beide hervorragend beherrschen, und noch eins können sie sehr gut: Mit Herzblut ihre Ziele und Ideale verfolgen. So arbeitet Edward Orlowski bis heute in seinem Beruf, während Jolanta Grenke „ausgestiegen“ ist als sie gemerkt hat, dass der Job sie einengt, dass die IT-Tätigkeit ihr den Atem nimmt. In dem sanierungsbedürftigen, ehemaligen Kinderheim Ramin haben beide ihre Bestimmung gefunden. Das Gutshaus ist heute eine Begegnungsstätte für alle, die miteinander arbeiten oder miteinander feiern wollen. Das 7 Hektar große Areal mit altem Baumbestand und gepflegtem Garten ist die ideale Stätte für Kinder- und Jugendfreizeiten, für Freunde, die miteinander kochen oder Familien, die miteinander musizieren wollen – für Musiker gibt es im Keller einen eigenen Raum.

Demnächst finden hier ein Tango-Abend und ein jüdischer Abend statt“, freut sich Edward Orlowski, „und Künstler fragen mittlerweile von sich aus an, ob sie bei uns auftreten dürfen.“ Die Netzwerke funktionieren, das Engagement der beiden Grenzüberschreiter zahlt sich aus. Auch die Bevölkerung aus der Umgebung nimmt inzwischen das eine oder andere Event an. Beliebt ist das OpenAir-Kino im Garten des Gutshauses. Mit einer eigenen Kräuterküche hat Jolanta Grenke sich einen Wunsch erfüllt, der sich während der Coronakrise heraus kristallisiert hat. Was tun, wenn alles geschlossen ist und keine Gäste empfangen werden dürfen? Die Frau aus Ramin hatte schnell eine Idee. „Beim Rasenmähen sind mir die vielen unterschiedlichen Kräuter förmlich ins Auge gesprungen“, erzählt sie, „die konnte ich doch nicht einfach unbeachtet lassen.“ In ihrem Atelier stehen inzwischen unzählige Dosen mit getrockneten Kräutern. Mittlerweile ist sie bekannt als Kräuerfrau, und sie bietet Kräuterwanderungen, Kochkurse mit Kräutern und eigenen Kräutertee an. Ein neues Betätigungsfeld ist entstanden, aber die Frau, die übrigens auch im Kulturausschuss sitzt, um dort das Bewusstsein für grenzüberschreitendes Miteinander zu fördern, hat schon wieder neue Pläne. Im Fernstudium bildet sie sich zur „zertifizierten Selbstversorgerin“ aus. Sie hat, wie sie sagt, mittlerweile eine gewisse Abgeklärtheit. „Nichts MUSS, aber alles KANN“, sagt die weltoffene Frau. Jolanta Grenke und Edward Orlowski haben beim Umzug von Polen nach Deutschland am eigenen Leib erfahren, wie wichtig es ist, die jeweilige Sprache zu sprechen und dass man schnell ausgegrenzt wird, wenn man sie nicht kann. Beide stellen fest, dass eine zweisprachige Sprachkompetenz hüben wie drüben noch lange nicht gewährleistet ist. Zwar wachse langsam das Bewusstsein dafür, aber noch fehlt es an Nachhaltigkeit. Es reiche eben nicht aus, im Kindergarten spielend die Sprache des Nachbarn zu lernen, wenn in der Schule die Kapazitäten fehlen. Jolanta Grenke und Edward Orlowski haben Fuß gefasst in Deutschland und den Sprung über die Grenze nie bereut.

Noch leben in der strukturschwachen Grenzregion an der deutsch-polnischen Grenze nicht allzu viele Menschen, aber jährlich werden es mehr. „Viele Leute, die vor Jahren in andere Städte oder Bundesländer gezogen sind, kommen derzeit zurück“, stellt Edward Orlowski fest – auch dank der Pandemie, während der die Arbeit aus dem Homeoffice einen anderen Stellenwert bekommen hat. Das spielt den Gutshaus-Besitzern in die Hände. Sie sind sicher, dass in Zukunft der Blick über die Grenzen weiter und selbstverständlicher wird, und was sie dafür tun können, das nehmen sie in Angriff. Nach Mentalitätsunterschieden gefragt, ist sich das sympathische Paar einig, dass die Deutschen bürokratischer sind als die Polen und dass sie mehr auf Sicherheit setzen. Die Bevölkerung in Polen dagegen setzt auf Improvisation. Schmunzelnd fügt Edward Orlowski hinzu: „Die Polen lieben die Katastrophen, weil sie es von jeher gewohnt sind, zu kämpfen.“ Aber nicht die Unterschiede sollen heraus gehoben, sondern das Verbindende gefördert werden. Wenn jemand dazu in der Lage ist, dann sind das die beiden liebenswerten Besitzer des Raminer Gutshauses.

www.gutshaus-ramin.de

 

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