Grenzerfahrungen in eigener Sache
Ja, auch wir kommen manchmal an Grenzen, die überwunden werden wollen. Wenn ein Tag, der höchst unerfreulich beginnt, dann doch noch gespickt ist mit erfreulichen Erlebnissen, liegt das am Kollegen Zufall, oder sollen wir es göttliche Fügung nennen? Egal! Jedenfalls sind Probleme mit der Entsorgungsanlage des Campers nicht nur unschön, sondern sie stehlen auch Zeit. Während Richard repariert, hänge ich am Telefon und erfahre, dass ein erwünschtes Interview nicht zustande kommt. Also: Route ändern! Saarbrücken können wir rechts liegen lassen. Als ich im Gespräch mit einem Vertreter der Gemeinde Gersheim noch einmal das Thema Wildorchideen aufgreife, weil es dort ein ganzes Areal davon gibt, muss ich endlich akzeptieren, dass diese wilden Schönheiten auch hier ihre Blütenkelche noch geschlossen halten. Schade! Unerwartet erfahre ich dann aber, dass die Nachbargemeinde Medelsheim über einen wunderschön gestalteten Kreuzweg verfügt, wie man ihn sonst kaum irgendwo antrifft. Tatsächlich stehen auf der Höhe des „Husarenberges“ die 14 bekannten Kreuzwegstationen. Vor der Kulisse des hügeligen Bliesgau wurden sie nach dem Ersten Weltkrieg errichtet, und sie sind bis heute Anziehungspunkt für Gäste von überallher.
Wir sind mittlerweile im Saarland angekommen, und das Saarland ist das Bundesland, in dem die Grammatik auf dem Kopf steht. Man sagt „das Marianne“ und „das Linda“, und als wir in einem Lebensmittelgeschäft etwas suchen, erklärt uns die freundliche Verkäuferin: „Fragen Sie doch „das Cornelia“ – das weiß am besten Bescheid.“ Auch Endungssilben werden gerne einfach weggelassen: „Ich han gut gess“, sagen die Saarländer, wenn sie gut gespeist haben. Das klingt ungewöhnlich, gehört zu dem Landstrich aber wie das Amen zur Kirche. Und in diesem Landstrich werden wir uns noch eine ganze Weile bewegen. Nächste Station: Die Freundschaftsbrücke (pont de l’amitié) zwischen dem deutschen Kleinblittersdorf und dem französischen Grosbliederstroff. Die Brücke spannt sich über die Saar und ist sozusagen der kleine Dienstweg vom Saarland nach Lothringen.
In Überherrn entdecken wir schließlich das Europa-Denkmal. Der Aussichtspunkt auf einem der höchsten Punkte der gesamten Region heißt auch „Denkmal für die großen Europäer“. Es ist ein Symbol für die deutsch-französische Aussöhnung.
Am 2. Juli 1966 hat der damalige Altbundeskanzler Konrad Adenauer höchst- persönlich den ersten Spatenstich getätigt. Das Denkmal mit einer Gedenktafel für ihn und zwei andere Staatsmänner wurde im Mai 1970 enthüllt. Es steht an einer Stelle, direkt an der saarländisch-lothringischen Grenze mit Sicht bis weit hinein nach Frankreich.
Dort beginnt auch der Alte Grenzweg, ein weiteres Symbol der Völkerverständigung. Er führt durch Wald und Wiesen, vorbei an einem Steinbruch und einigen Windrädern bis hinüber in das französische Dorf Berviller und von dort über die Orannakapelle zurück zum Denkmal. Bei allerschönstem Abendlicht hatten wir keine andere Wahl als diesen Grenzweg zu laufen und die warmen Farben der Abendsonne zu genießen.
Das anschließende Abendessen im „Chapeau noir“, das wir durch Zufall entdeckt haben, war das i-Tüpfelchen an diesem so stressigen und doch so beglückenden Tag. Das „Chapeau noir“ ist ein gemütliches Restaurant mit unterschiedlichen Möbelstücken und individueller Deko. Und: Der Chef persönlich setzt sich manchmal ans Klavier und verleiht dem Diner eine besondere Note. Es stellt sich heraus, dass Jörg Altmeier und seine Frau Ulrike Weller zwei besondere Künstler sind – sowohl am Herd als auch in der Musik. Wir haben den Abend sehr genossen und die Unbilden des Vormittags vergessen bis…
…ja bis wir zum Wohnmobil zurück kamen und feststellen mussten, dass fast kein Strom mehr da war. Auf dem Weg zum Stellplatz beim Denkmal hat sich die Batterie dann aber wieder einigermaßen erholt. Das sind die anderen Seiten unserer Reise. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb werden wir uns an diesen Tag gerne zurück erinnern.