Das geteilte Dorf

Gleich vorweg: Das ist (bis jetzt) unsere persönliche Lieblingsgeschichte, zeigt sie doch, was Grenzerfahrungen wirklich sind. Wir besuchen das Dorf Leidingen, das von der deutsch-französischen Grenze regelrecht zweigeteilt wird. Die Durchfahrtsstraße trägt auf der einen Seite den Namen „Neutrale Straße“, die andere Straßenseite heißt „Rue de la frontière (Grenzstraße)“. Dass das so ist, hat mit der Grenzkonvention zwischen Preußen und Frankreich zu tun, die im Oktober 1829 eine Grenze durch den Ort festgelegt und in den zurück liegenden 200 Jahren mehrfach geändert hat. Jetzt also zerschneidet die Grenze, sichtbar auch an der Art der Bebauung, die Ortsdurchfahrt.

Wir kommen mit Christian Schuetz ins Gespräch. Er ist Franzose, spricht aber astrein den saarländischen Dialekt: „Ich bin hier aufgewachsen“, sagt er. Die Grenze spiele eigentlich keine Rolle, „einmal abgesehen davon, dass wir gerade an der Präsidentenwahl teilgenommen und die Nachbarn von der anderen Straßenseite schon vor einem dreiviertel Jahr gewählt haben.“ Wir parlieren über dies und das, mal auf Deutsch, mal auf Französisch. „Wieso kann die Frau hier aus der Nähe von Baden-Baden Französisch und Du nicht?“, ruft Christian plötzlich über die Straße. „Ei, ich han’s nie gelernt“, antwortet von gegenüber Gerhard Wagner. Auch für ihn spielt die Staatsgrenze in seinem Dorf mit den nur 76 Gebäuden (davon 2 Kirchen) keine Rolle. „Ich kenn’s nicht anders.“ Beide leben gerne in dem kleinen Dorf, das von einer herrlichen Natur umgeben ist und wo sich Fuchs und Has‘ Gute Nacht sagen. Das stört aber niemanden – im Gegenteil, in Leidingen fühlen sich Deutsche und Franzosen gleichermaßen wohl. Nach einem regen Austausch sagt Christian Schuetz unvermittelt: „Eigentlich red‘ ich mit niemandem mehr, nicht mit Journalisten und schon gar nicht mit Politikern. Wissen Sie, die machen immer einen Riesen-Bohai und setzen sich in Szene, aber wofür?“

Dafür, dass Sie mit niemandem mehr reden, hat unser Gespräch schon sehr lange gedauert,“ antworte ich, und alle lachen.

Uns zuliebe fährt Gerhard Wagner aus der Neutralen Straße dann sogar sein Auto zur Seite, und wir dürfen ein Foto machen, die beiden Leidinger nehmen Haltung an, jeder steht an der Flagge, die seinen jeweiligen Staat repräsentiert. Au revoir, Auf Wiedersehen, Leidingen!